Liek ut

Geradewegs ins Urlaubsglück.

Urlaub gehört zu den elementaren Dingen, die man zur Erholung braucht. Dabei ist es nicht mal notwendig, weit zu fahren. Um’s Eck reicht auch. In diesem Fall drei Dörfer weiter und über die Fähre auf die Insel.

Sonne tanken, Strand baden, Füße ins Wasser tauchen und spüren, wie der feine Sand krisselnd langsam mit der Welle zurück ins Meer und unter der Fußsohle heraus gezogen wird. Nicht denken, nicht planen, nicht bangen. Urlaub pur.

Aber dann …

Mein letzter Fall war jetzt zwei Wochen her. Er war verbunden mit erheblichen Formalitäten zu Zeugenaussagen, Rücksprachen, Ab- und Verwicklungen, unerfreulichen Begegnungen und Hektik. Hart verdientes Geld, das immerhin für meine Miete sorgte und mir ein paar Tage Auszeit im Ferienhaus eines Kumpels ermöglichte.

Mein Kumpel war ein feiner Kerl. Wir hatten uns am Rande der Galopprennbahn bei halb legalen Wetten kennengelernt. Das Inselhaus war seit Generationen im Besitz seiner Familie. Man munkelte, es stünde ganz in der Tradition alter Krabbenfischer / Schmuggler nordischer Natur aus kargen Zeiten. Es roch intensiv nach Seetank. Holzfässer mit handgeschmiedeten Eisenringen standen in allen Größen herum und die einfachen Töpferwaren machten das Geraumte glaubwürdig.

Ich muss gestehen, mich packte die Neugier. Eins der kleinen Fässchen stand auf der alten Holzanrichte ganz zurückgeschoben hinter einem Krug und einer Teetasse mit der Aufschrift „Hier geht,s lang.“ Was wollt ich mich da bitten lassen? Nach drei Tagen faul in den Tag hineinleben, weckten sich meine Jagdtriebe beim kleinsten Anreiz.

Das Fässchen enthielt einen Zettel mit lediglich zwei Geokoordinaten. Geocaching? Hier auf der Insel? Warum nicht. Ich schnappte mir das hauseigene Ruderboot und meinen Kompass und fuhr zu besagter Stelle. Eine gut geschützte Bucht unweit des Naturschutzgebietes.

„Ein Seehund lag am Meeresstrand, wusch sich die Schnauz im weißen Sand, ach möchte doch dein Herz so rein wie diese Seehundschnauze sein.“ Der alte Poesiealbumspruch aus meiner Kindheit drängte sich mir unmittelbar auf, als ich feststellte, dass mich die Koordinaten direkt an eine Seehundbank brachten. Ein reges Leben dort in der Meute. Allein für diesen Anblick hatte der Ausflug sich gelohnt. Aber sollte das alles sein? Ein Ausflugstipp? Ich beschloss den gebotenen Abstand zu wahren, meine Hochseeangelrute auszuwerfen und abzuwarten, was sich entwickelt.

Gegen Abend hatte mich die Trägheit eingeholt und mit dem Plätschern der Wellen an meine Bootswand und der Sonne auf meinem Anglerhut in sanften Schlummer gewiegt. Das Boot dümpelte im Halbdämmer an seiner Stelle, als ich anfing Stimmen zu hören. Ich dachte noch, ich träume, da kam auch Motorengeräusch dazu. Geradewegs in Richtung meines kleinen Seehundruheparadieses.

Ich schnappte mir die Ruder und brachte mich mit vorsichtigen Schlägen in Sichtschutz zum offenen Meer. Eine unübersichtliche Seegraswiese am Rande der Dünen gab mir Deckung. Es war sicherlich nicht meine beste Idee, mich gerade dort zu verstecken. Das Motorboot ankerte exakt dort, wo ich gerade eben noch vor mich hingedümpelt hatte, und senkte etwas ins Meer, das ich nicht erkennen konnte. Heraus kam ein Fass. Eines der mittelgroßen Fässer, von denen einige in dem Inselhäuschen rumstanden, das ich für ein paar Tage mein Heim nannte. „Liek ut“ rief eine sonore Männerstimme und meinte offensichtlich damit, dass das Boot geradeaus auf die Dünen zusteuern sollte, in deren Schatten ich mich versteckte. „Stopp!“ Die Männer verteuten das Boot an einer seichten Stelle, entluden ihre Beute und schleppten das Fass an Strand. „Wohin nu?“ „Liek ut“ Schon wieder. Nun, gerade Sache statt krummer Touren,… Ich kam langsam ins Schwitzen. Mein Galgenhumor fing an, sich zu regen. „Da oben steht ein Karren. Hol den mal!“ Der zweite Mann kam grad auf mich zu. Den Dünenweg entlang, an dessen Fuß ich mich unvorsichtigerweise positioniert hatte. „He du!“ Nun war es aus. Er hatte mich entdeckt. „Wat wullst du da?“ „Nur ein kleines Päuschen machen.“ „Hier is Naturschutzgebiet. Kannst du nich lesen?“ Verkehrte Welt. War ich der Schuft? „Was will er denn?“ Jetzt meldete sich der erste Mann. Die Stimme kam mir seltsam bekannt vor. „Päuschen machen.“ Kam vom zweiten. „Tourist. Kommt wohl ausm Rheinland.“ Das stimmte zwar nicht, sollte mir aber recht sein, als nordfremder Tourist zu gelten.

„Lass mal seh’n.“ Der erste Mann kam auf mich zu. „Wolle! Was machst du hier?“ „Ernte einholen. Wie kommst du her?“ „Ernte? Ich bin den Geokoordinaten gefolgt, die du im Häuschen hinterlassen hast. Stand ja drauf: Hier geht’s lang!“ „Nicht schlecht. Den Zettel hatte ich mir für schlechte Tage hingelegt. Falls ich mal was vergesse. In dem Fässchen hier ist bester selbstdestillierter Rum mit offizieller Lizenz zum Verkauf in kleinen Mengen. Norderseerum. Eingetragene Marke. Den letzten Pfiff bekommt er durch Lagerung an der Seehundbank. Die geheime Zutat. So. Nun weißt du’s und wir müssen dich unschädlich machen.“

Das war mir recht. Norderseerum und Seemannsgarn am warmen Feuer im Haus auf der Insel bis zum Umfallen. Was will man mehr.